Eine Frage des Blicks. “in reality” von Kasia Klimpel | Text by Dr. Doris Gassert
Unser Blick richtet sich auf ein Bild, dessen diffuser Inhalt sich im Takt der Sekunden bewegt. [Abb. 1/2] Wir kneifen die Augen zusammen, rücken den Kopf näher an den Bildschirm, und schon werden wir in den Bildraum hineingezogen. Unser Blick gleitet quer durch transparent überlagerte Bildschichten, deren ineinander verwobenen Motive sich ruckartig bewegen. Schicht um Schicht versuchen wir,die verschiedenen Ebenen des Bildraums zu entschlüsseln. Ein Aquarium? Ein mit Wolken durchzogener Himmel? Eine hügelige Berglandschaft, eine Wiese, Wind. Feine weisse Linien, die auf einmal wild durch das Bild blitzen – und undefinierbar bleiben. Technische Bildstörungen, vielleicht? Auch eine Bildebene, mindestens, ist lediglich wahrnehmbar als schleierhafte abstrakte Figuration, irgendwo im ungreifbaren Dazwischen. Klar als Fisch erkennbar ist dafür ein plötzlich im Bild herumschwirrender Farbklecks. Er schwimmt, ruckartig, im Aquarium, in den Wolken, über die Hügel, durch das Gras. Und verschwindet so plötzlich, wie er aufgetaucht ist.
Diese gleichermassen abstrakte wie poetische Bilderwelt verdanken wir der polnischen Künstlerin Kasia Klimpel. Ihr Online-Projekt in reality, welches auf der Plattform www.collective-view.ch ausgestellt und online erfahrbar gemacht wird, nutzt Webcambilder als Ausgangsmaterial für eine künstlerische Transformation, deren Funktions- und Wirkungsweise an die Prozessualität des Digitalen geknüpft ist. Für in reality hat Klimpel mehrere Dutzend Webcams aus der ganzen Welt ausgewählt, die ihre bewegten Echtzeitbilder über das World Wide Web für jedermann über eine URL frei zugänglich machen. Bei jedem Zugriff auf die collective-view Webseite oder bei deren Aktualisierung werden von einem Algorithmus jeweils vier davon zufällig zu einer Bildkomposition kombiniert. Durch Transparenz und Überlagerung entstehen künstlerisch verfremdete Bilderwelten mit aussergewöhnlichen Oberflächen, und – je nach Kombination – mit mal dechiffrierbaren, mal geheimnisvoll abstrakten Bildtiefen, die zur intensiven Betrachtung einladen.
DIE WEBCAM ALS MEDIUM
Die Webcam, eine relativ einfache und für den Privatgebrauch erschwingliche Netzwerkkamera, bildet die Welt in einer Auflösung von 640×480 Pixel ab.[1] Sie überträgt ihre Daten – d.h. ihre Aufnahmen – in Echtzeit über das Internet, indem sie Einzelbilder in Intervallen aktualisiert und dadurch den Eindruck von Bewegung erzeugt. Grundvoraussetzung für die Übermittlung ist damit die Anbindung an das Internet über einen Computer.[2] Die Echtzeitbilder, wie beispielsweise von Landschaften und touristischen Hotspots, von öffentlichen Plätzen oder Gebäuden, von Arbeitsstätten und Strassen sind dann entweder über eine Webseite einsehbar,[3] oder sie entstehen im Rahmen der Internet-Telefonie (z.B. Skype, MSN, Facetime) oder beispielsweise in Social Network Sites eingebettete Videochats (z.B. Chatroulette). Zudem ist mit Sharing-Plattformen wie YouTube eine ganz spezifische Webcam-Kultur entstanden, bei welcher Videos mit der Webcam aufgezeichnet und anschliessend über die Plattform online gestellt werden.[4]
Damit sind die zwei wichtigsten Domänen bezeichnet, innerhalb welcher Webcams ihre Verwendung finden: einerseits eine öffentliche, in welcher sie eine monitoring-Funktion einnehmen, entweder innerhalb eines Kontrolldispositivs oder mit dem Versprechen eines medialen Fernblicks; andererseits eine private, bei welcher die Webcam im Spannungsfeld von Voyeurismus und Exhibitionismus zum Medium der Selbstinszenierung par excellence geworden ist.[5] Durch die breite Verfügbarkeit der Technologie sind Webcams zu allgegenwärtigen Über- und Vermittlern unseres Informationszeitalters geworden; die elektronischen Augen, mittlerweile ganz selbstverständlich und damit zunehmend unauffällig in unsere Laptops und Smartphones integriert, sind Teil unseres zunehmend mediatisierten Alltags. „Cams are deployed worldwide to watch and surveil traffic, public spaces, bank interiors, parking structures, shopping malls, the weather, nature views, major tourist attractions, and the unsuspecting baby sitter back home”, so der amerikanische Medientheoretiker Kenn Hillis. “Millions use them to make personal pc-to-pc phone calls and to ‘meet’ others in video chat rooms organized by conversation topic and special interest – everything from alternative medicine and spirituality, to online therapy, poker playing, and for-pay ‘live sex chat.’ […] The sheer variety of webcam uses now on display suggests the need to speak of webcam cultures.”[6] Die global verbreitete Praxis der Webcam – als neue Form der Kommunikation und Tele-Vision, sowie in ihrer Konnotation als ‚Fenster zur Welt’ oder als ‚Blick durchs Schlüsselloch’ – ist ein konstitutiver Bestandteil unserer zeitgenössischen Medienkultur in der Art und Weise, wie sie die Welt für uns ab-bildet, und damit unsere Wahrnehmung und Vorstellung von Welt mitprägt.
Als Bildmedium knüpft die Webcam sowohl technisch als auch ästhetisch an frühere Medien an und lässt sich im Rahmen einer intermedialen Betrachtungsweise, d.h. im Vergleich und in Abgrenzung zu den kulturellen Praktiken, den ästhetischen Ausdrucksweisen und den gesellschaftlichen und sozialen Funktionen der Fotografie, des Films, oder des Fernsehens untersuchen und beschreiben.[7] Die amerikanischen Medientheoretiker Jay David Bolter und Richard Grusin bezeichnen dieses Austauchverhältnis zwischen Medien als Remediation, deren interagierende Prozesse wie die des gegenseitigen Imitierens oder Appropriierens sich auf der ästhetischen Ebene einschreibt.[8] In diesem Spannungsfeld und mit besonderem Fokus auf den fotografischen Blick werden im Folgenden einige ästhetische, mediale und künstlerische Prozesse und Strategien diskutiert, welche für ein Verständnis von Kasia Klimpels künstlerischer Arbeit zentral sind. Dabei werden zunächst in der Auseinandersetzung mit früheren Werken Fragestellungen untersucht, die auch für die aktuelle Arbeit in reality relevant sind. Durch die ausgewählten Arbeiten hindurch begleitet uns eine reflexive Auseinandersetzung mit dem fotografischen Blick, der letztlich in den Webcambildern von in reality seine Erweiterung findet.
DER FOTOGRAFISCHE BLICK ALS KÜNSTLERISCHE REFLEXION
Kasia Klimpel nähert sich der Webcam von der Fotografie her, allerdings mit einem stark konzeptuellen Ansatz. Die in Basel und Amsterdam lebende Künstlerin wurde in Gliwice, Polen, geboren. Ihren Bachelor of Arts in Fotografie absolvierte sie an der Royal Academy of Art in Den Haag (NL), gefolgt von einem Master Fine Arts am Institut Kunst der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel. Klimpels reflexive Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie zeigt dabei einen vielschichtigen Umgang mit der Medialität des Fotografischen und dessen Manifestation in den unterschiedlichsten Medien bzw. Materialitäten. Mithin thematisiert das künstlerische Schaffen von Klimpel den fotografischen Blick im Wechselspiel von Wahrnehmung und medialer Vermittlung: Wie re-präsentieren technische Bilder unsere Welt und beeinflussen unsere visuelle Erfahrung und Beobachtung; wie prägen sie – und ihre ständige Verfügbarkeit im Internet – unser visuelles Gedächtnis und damit auch unsere individuelle und kollektive Vorstellung von Welt?
Die Fotoserien Still (2009–heute)[9] und Landscapes (2011–2012) beschäftigen sich mit der ‚fotografischen Wirklichkeit’ von klischeehaften Natur- und Landschaftsbildern, wie man sie auf dem Internet heutzutage in Unmengen vorfindet. Was hier auf den ersten Blick wie Momentaufnahmen natürlicher Motive wie Sonne [Abb. 3/4], Mond, Berge, Felder oder ein Horizont [Abb. 8] anmutet, erweist sich bei genauem Hinsehen als eine sorgfältig von Hand konstruierte und abfotografierte Bildkonstruktion. Die Bildserien bestehen aus Papiercollagen, wobei die Landschaftsmotive sowohl in ihrer Form als auch in ihrer Farbgebung auf das ‚Wesentliche’ reduziert und damit abstrahiert übereinander gelegt werden. Durch eine natürliche Beleuchtung im Prozess des nachträglichen Abfotografierens entstehen Schattenwürfe, die dem Bild einen gewissen ‚fotografischen Realitätseffekt’ einhauchen. An die Stelle von Natur – und des natürlichen Blicks – ist somit eine doppelt vermittelte Realität getreten, in der sich Kompositionsprinzipien aus der Malerei mit verschiedenen Im-/Materialitäten (Papier und Licht) zu fotografischen Abbildern von Welt verschränken.
Sowohl Still als auch Landscapes beschäftigen sich mit der Transformation von Natürlichem ins Bildliche und mithin auch mit der Art und Weise, wie Bilder wiederum auf unsere Vorstellung von Natur zurückwirken und in unserem visuellen Gedächtnis verankert bleiben. Diese Wechselwirkungen haben sich mit dem Internet und dem Zugriff auf eine unendliche Fülle von Bildmaterial auf unvorstellbare Weise dynamisiert. Auf Foto-Sharing-Plattformen wie Flickr werden im Sekundentakt Natur- und Landschaftsfotografien hochgeladen, welche die immer gleichen Motive in den unterschiedlichsten Variationen von Farbgebung und Lichtverhältnissen abbilden. Die Klischeehaftigkeit, die in der Fülle entsteht, wird auf eindrückliche Weise im Projekt Suns (from sunsets) from Flickr (2006–heute) [Abb. 5] der amerikanische Künstlerin Penelope Umbrico verdeutlicht. Für Umbrico ist Flickr „a virtual window onto the natural world“[10] und ein Fundus aus vorgefundenem Bildmaterial, welche sie sich für ihre Projekte aneignet.
Diese weit verbreitete künstlerische Praxis der Appropriation von Bildmaterial aus dem Internet liegt auch dem Projekt Photo Opportunities (2005–2013) [Abb. 6/7] von Corinne Vionnet zugrunde. Von Foto-Sharing-Webseiten sammelte die Schweizer Künstlerin um die jeweils hundert Fotos von Sehenswürdigkeiten wie dem Big Ben in London oder dem schiefen Turm von Pisa, und lagerte diese transparent übereinander. Die Fülle der von Touristen ins Netz gestellten Fotos verschmilzt hier zu einem kollektiven Blick; die Ähnlichkeit der Fotos wird zum Ausdruck von Bildertypen spezifischer Sehenswürdigkeiten, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind.[11] Ähnlich operiert auch Beat Brogle in Cluster (2010–heute), wenn er die ersten 100 Resultate, die von Bildsuchmaschinen wie Google zu einem bestimmten Begriff angezeigt werden, übereinander schichtet. In der Überlagerung und Verdichtung werden sodann abstrakte Formen sichtbar, die laut Brogle den „archetypischen Kern“ eines Bildes bezeichnen.[12] Es ist ebendieser arche- wie stereotypische Kern aus Formen und Farben, auf den auch Kasia Klimpel ihre Bildkonstruktionen von Natur reduziert. Dies jedoch in einem umgekehrten Verfahren: die künstlerische Transformation vom kollektiven Gedächtnis zum archetypischen Vor- und stereotypischen Abbild erfolgt nicht im Prozess bildlicher Verdichtung, sondern durch eine Reduktion auf das Wesentliche, die Klimpel mit ihrem eigenen deduktiven Blick vornimmt. Damit wird der Blick selbst zum Thema der poetischen Bilder von Still und Landscapes, welche von der Überlagerung medialer Sichtweisen geprägt sind.
The Grand Tour (2012) [Abb. 9] ist eine Weiterführung und gleichsam eine Kulmination der künstlerisch-ästhetischen Praxis von Kasia Klimpel. Hier werden nämlich ihre zuvor beschriebenen Bildkonstruktionen aus der Serie Landscapes, die von Fotos aus dem Internet inspiriert sind, in den Online-Raum rücküberführt, um selbst wiederum Teil dieses kollektiven Bildergedächtnisses zu werden. Dies geschieht, indem Klimpel ihre Landscapes auf den von Google angebotenen Foto-Sharing-Dienst Panoramio hochlädt. Panoramio ermöglicht es seinen registrierten Usern, Fotografien von jedem Ort auf der Welt mit dessen spezifischen Standort auf einer virtuellen Karte zu verlinken. Dieses als „geotagging“ bezeichnete Verfahren dient einer Bebilderung von Welt auf dem Netz, die Google unter anderem auch mit Google Earth verfolgt.[13]
Bevor die Fotos allerdings hochgeladen werden können, prüft sie eine Software zunächst hinsichtlich ihrer ‚Authentizität’: Panoramio akzeptiert nämlich ausschliesslich „echte Fotos“ von Landschaften und Orten.[14] Der Clou von The Grand Tour liegt nun darin, die konstruierten und damit fiktionalen ‚Fotobilder’ aus Landscape als ‚echte Fotos’ in Panoramio einzuschleusen. Um deren ‚fotografische Authentizität’ zu steigern, hat Klimpel sie deshalb mit Datum und Uhrzeit indexiert – und ihnen damit (gleichsam augenzwinkernd) eine Art ‚Authentizitätssiegel’ eines Barthes’schen „es ist so gewesen“ aufgedrückt.[15] Bei der Abtastung des Bildes durch die Software zeigt sich sodann eine Parallele in der technischen Rasterung und dem künstlerischen Verfahren Klimpels: eine Reduktion des ‚Blicks’ auf wesentliche und damit ‚typische’ Formen und Muster. Das Resultat: auf der Weltkarte von Panoramio findet man nun eine fiktives ,Landschaftsfoto’ der polnischen Gemeinde Gmina Serock, datiert auf den 30. April 2011, 04:51:00, und mit dem genauen geografischen Standort 52°33’15.59″N 21°6’12.21″E vermerkt; dem World Wide Web beigesteuert „von: kasia.klimpel“.[16] [Abb. 10]
Durch dieses ‚subversive’ Einschleusen fiktionaler ‚Fotobilder’ in die vom Megakonzern Google kontrollierte kartografische und fotografische Abbildung von Welt hat Klimpel nicht bloss „auf faszinierende Weise einen Diskurs über die Realität und Künstlichkeit von Landschaftsbildern angeregt“.[17] Wenn The Grand Tour nämlich explizit die Frage stellt, ob „photography in the virtual world the reality of fiction“ sei,[18] dann reflektiert sie darüber hinaus, wie durch die Verschmelzung verschiedener Formen von (medialer, realer, fiktionaler) Abbildung eine neue Form von ‚Realität’ entsteht, die wiederum unser kollektives Bild und unser Wissen von Welt prägt.[19] Nicht zuletzt stellt The Grand Tour auch die zentrale und mitunter beunruhigende Frage nach der Repräsentationsmacht im Netz.
DIE WEBCAM ALS ERWEITERUNG DES FOTOGRAFISCHEN BLICKS
Mit der aktuellen Arbeit in reality (2013) verlagert Kasia Klimpel ihre künstlerische Reflexion des fotografischen Blicks vollends in den virtuellen Raum des Internets und erprobt seine Erweiterung in den Webcambildern. Auch in reality zehrt sich aus Naturaufnahmen, allerdings bilden sie nur einen Teil der ausgewählten Webcambilder, die auf der collective-view Plattform über einen Algorithmus nach dem Prinzip der Zufälligkeit in einem Bildraum zusammen geführt werden. [Abb. 11/12] Neben Meeres- und Seeblick oder idyllischer Berglandschaft lassen sich vor allem Architekturen, industrielle Standorte sowie öffentliche (und gesellschaftliche) (Innen-) Räume und Plätze entziffern: ein Zoo, ein Kirchenaltar, ein Hafen, ein Hunde-Trainingscamp, oder eine Eishockey-Halle; zudem richtet sich der Blick oft auch auf Teleskope, Antennen, Satellitenschüsseln und technische Apparaturen irgendwo im Nirgendwo. Die Bilder werden in Echtzeit aus Südkorea, aus Honolulu, China, oder den Vereinigten Staaten übertragen. Bilder des Privaten und der damit verbundenen Webcam-Kultur bleiben in dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit der „Realität“ von Webcambildern aussen vor. Stattdessen setzt Klimpel die Webcam mit ihrer gezielten Auswahl in die Tradition des medialen und weltumspannenden Fernblicks, der vor allem hinsichtlich der Darstellung ferner und exotischer Schauplätze auch fotografisch konnotiert ist.
Die frühe Fotografie schien aufgrund ihres realitätsgetreuen Abbildungscharakters prädestiniert, Wissen über das Exotische und Fremdländische, über unbekannte Kulturen und Bräuche ‚objektiv’ einzufangen und ‚authentisch’ zu vermitteln. Mit dem Bewegtbild des Kinematographen fand die Reisefotografie sodann auch ihre Fortsetzung in den sogenannten travelogues der frühen Kinokultur. Webcams, die überall auf der Welt, sogar in den abgelegensten und unbewohntesten Gebieten aufgestellt werden, schliessen mit ihrem Fernblick an diese Tradition an. „The function of these nature cameras,” so Bolter and Grusin, “is to put the viewer in touch with the exotic or the remote, a service performed by photography and film in the last hundred years.”[20]
Allerdings bilden Webcams die Welt in einer ganz spezifischen Ästhetik ab, die in besonderem Masse auf ihr technisches Arrangement zurückzuführen ist. Ihre augenfälligen Eigenschaften sind die tendenziell schlechte Auflösung und die Verpixelung der Bilder, die vorwiegend statische Kameraperspektive, die meist stockende, ruckartige Bewegung verbunden mit Bewegungsunschärfe (als Folge der Stop-Motion Übertragung und zeitlichen Verzögerungen), sowie eine Vielzahl weiterer technischer Störeffekte, die sich sichtbar in die Bildoberfläche einschreiben. Grund für diese mangelhafte Abbildung von Welt – und zugleich ihr besonderer Anreiz – ist die Datenübertragung in Echtzeit, welche die unmittelbare Kopplung von Input und Output erfordert – und damit das Funktionieren einer Vielzahl von einander abhängiger technologischer Komponenten. Damit bestimmt nicht nur die Qualität der Webcam (z.B. ihre Reaktion auf die gegebenen, nicht immer optimalen Lichtverhältnisse), sondern auch die Internetanbindung und die Geschwindigkeit der Datenübertragungsrate in besonderem Masse über das visuelle Erscheinungsbild dieses relativ kleinformatigen ‚Fensters zur Welt’.[21]
Der unendliche Bilderstrom der Webcam, so Martin Gasser, „suggeriert eine globale Perspektive und gibt vor, alle Ecken der Welt auszuleuchten; in Tat und Wahrheit liefert er aber nur ein lückenhaftes, manchmal zeitlich verzögertes und mit einer ganzen Anzahl von Störphänomenen behaftetes Bild der Welt.“[22] Nichtsdestotrotz erheben Webcams vollkommenen Realitätsanspruch, wie Bolter und Grusin betonen: „,Webcams’ on the Internet pretend to locate us in various natural environments – from backyard to bird feeder in Indianapolis […] to a panorama in the Canadian Rockies […]. In all these cases, the logic of immediacy dictates that the medium itself should disappear and leave us in the presence of the thing represented”.[23] Wurde der Fernseher als ‚Fenster zur Welt’ popularisiert, weil er das Weltgeschehen zum ersten Mal live in die heimischen Wohnzimmer übertragen konnte,[24] so bezieht die Webcam ihre reizvolle (und medienspezifische) Qualität des Fernblicks – und dessen vermeintliche Unmittelbarkeit – aus dem monitoring des Alltäglichen in Echtzeit sowie dem Umstand, über Bilder des globalen Weltgeschehens auf unseren persönlichen Computerbildschirmen verfügen zu können. Im Unterschied zum Fernsehen allerdings, welches das Spektakuläre im Alltäglichen aufgreift oder das Banale aufbläst und damit als spektakulär inszeniert, bleibt der Blick der Webcam ein ausdauernder, seine Realität ist ungefiltert. Der 24/7-Überwachungsblick richtet sich nämlich die meiste Zeit auf Bilder, die sich in einem diffusen zeitlichen Zustand befinden: eine Art ‚bewegter Stillstand’, der wohl am sinnfälligsten in Thomas Köners Banlieue du vide (2003) zum Ausdruck kommt. Banlieue du vide zeigt Bilder von öffentlichen Überwachungskameras, deren Blick schneebedeckte, menschenleere Strassen anvisiert. Durch ein nahtloses und kaum wahrnehmbares Überblenden der Bilder zeigt sich in der künstlerischen Transformation die Bewegung als kaum bemerkbare subtile Veränderung, die den Zuschauer letztlich zu einem Beobachten der Zeit an sich herausfordert.
Wenn die Webcam auf menschenleere Berglandschaften gerichtet ist, mit Weitblick bis zum Horizont, dann ist es letztlich eine ähnliche Erfahrung von Zeit, die wir beim aktiven Beobachten machen: abgesehen von den Veränderungen von Licht und Schatten durch Tagesrhythmus und Wetterbedingungen oder alltäglichen Bewegungen wie das Vorbeifliegen von Vögel, wird im immer gleichen, wenn auch bewegten Bildausschnitt nicht viel ‚passieren’.[25] Statt in ein „intense viewing“, zu welchem uns Körners – wie Klimpels – künstlerische Transformation der Webcambilder herausfordern, verfällt unser Sehmodus deswegen in ein „casual monitoring“.[26] Mehr als im Inhalt der Bilder liegt die Faszination des Mediums deshalb in dem durch ihn erst ermöglichten Echtzeit-Fernblick. “Web cameras reveal again our fascination with media. What other motive can there be for transmitting around the world an endless stream of images of one’s goldfish? Such a site serves no imaginable practical or aesthetic purpose; the designer can only be demonstrating to herself and to us the monitoring function of the Internet.”[27]
EINE FRAGE DES BLICKS – IN REALITY
Diese Faszination mit der „reality of media“[28] scheint auch in Kasia Klimpels in reality bereits im Titel mitzuschwingen. Klimpels künstlerische Auseinandersetzung mit den Bildern der Webcam hinterfragt deren vermeintliche Wirklichkeit, indem ihr Realitätseindruck durch gezielte Bildauswahl und zufällige Überlagerung unterwandert wird. Statt eines Blickes in eine „latente Belanglosigkeit“[29] eröffnet das angebliche ‚Fenster zur Welt’ in in reality einen Durchgang in einen hybriden Bildraum, der durch die transparent übereinandergeschichteten Ebenen an Tiefe, Komplexität und nicht zuletzt an ästhetischer Attraktivität gewinnt. Wie in den Fotoserien Still und Landscapes führt die Abstraktion auch bei in reality zu einem collective view, allerdings mit einer entgegengesetzten Bedeutung: entstand bei den ersteren ein repräsentativer ‚Bildtyp’, der sinnbildlich für einen kollektiven Blick aus einem universalen Bilder-Gedächtnis steht, so impliziert der collective view bei in reality ein Kollektiv aus sich kreuzenden und überlagernden Blickkonstellationen, Sichtweisen und Perspektiven, die durch die technische und mediale Erweiterung unseres natürlichen Sehens entstehen und mithin neue, zunehmend hybride (Darstellungs-)Formen von Realität erzeugen. Gleichwohl verweisen beide Bedeutungsebenen darauf, dass es sich bei (foto-)realistischen Abbildungen nie um Reproduktionen von ‚realer Welt’ handelt. Unsere Realität besteht immer aus einer Vielzahl sich überlagernder, medial vermittelter und ineinander verwobener Wahrnehmungen uns Sichtweisen. Unsere Annahme, Vorstellung und unser Wissen von Welt – darüber, wie es in Wirklichkeit ist – ist damit stets eine Frage des Blicks.
Die Modalitäten des Sehens und die technische Erweiterung des Blicks thematisiert Klimpel nicht nur über das Versprechen eines fotografisch konnotierten Fernblicks der Webcam, sondern auch explizit in den gewählten Bildinhalten, auf die sich deren Blick richtet. Darunter finden sich von Webcams unter Beobachtung gestellte Teleskope; selbst Technologien zur Fernsicht und zur Observation, die uns den Kosmos weit über die Grenzen des für das menschliche Auge Sichtbaren hinaus erforschen und visualisieren lassen. Als Kontrast zum Welt-Blick taucht auch ein Bildinhalt auf, dessen abstrakte, grau-weisse Oberfläche sich oft dominierend über oder unter die anderen Bildschichten legt. Es scheint ein von einer Webcam aus einem Labor übermittelter mikroskopischer Blick zu sein, der in die Mikrostrukturen von Materialien dringt und dort die winzigsten belebten Welten zum Vorschein bringen kann. [Abb. 13/14] Im vom Klimpel ausgewählten Repertoire befinden sich des weiteren technische Anzeigen in Form eines mechanischen Messgerätes oder eines digitalen Displays. [Abb. 15/16] Auch sie sind abstrakte Abbildungstechniken von physikalischen Zuständen, die sich ohne technische Hilfe nicht wahrnehmen oder benennen lassen. Durch jedes technische Abbildverfahren entstehen somit immer auch neue Formen der Sichtbarmachung, die unser Wissen von Welt (in)formieren. Gerade in der Überlagerung der Bilder zeigt in reality aber auch, dass ein Mehr an Bild-Wissen den Blick nicht immer nur schärft: wissen wir das, was wir sehen, nämlich nicht zu interpretieren, so verliert sich unser Blick in einer diffusen Oberfläche, deren Abstraktion letztlich zu einer Reduktion des „Sehens“ führt.
in reality stellt mit und durch die Webcam aber auch die Frage nach der Flüchtigkeit von Realität und nach ihrer materiellen Fixierung durch die Medien und Künste. Denn im Gegensatz zu Fotografie und Film nimmt die Webcam zwar auf, speichert aber nicht ab: die Einzelbilder verweilen nur so lange, bis sie vom nächsten überschrieben werden.[30] Dieses ‚passieren’ von Zeit wird in in reality durch die Strategien der Transparenz und des Überlagerns zusätzlich betont, wenn durch die künstlerische Transformation diffuse, gespenstische Zwischenräume entstehen und Silhouetten oder Bewegungsspuren gleichsam nur als ‚Hauch’ im Bild präsent sind. Durch die meist nebelige und verschleierte Ästhetik wirken die Bilderwelten von in reality insgesamt flüchtig und unfassbar, als befänden sie sich in einem seltsamen Prozess aus Bildwerdung und Verflüchtigung zugleich. Aber auch das „Wechselspiel zwischen Fluss und Stillstand, Dynamik und Stasis“,[31] welches Isabell Otto als Merkmal der Webcambilder bezeichnet, findet bei in reality seine spezifische Form nicht bloss aufgrund von technischen und zufälligen Komponenten. So werden die verschiedenen Bildebenen zwar letztlich von einem Algorithmus zufällig zusammengeführt und durch das jeweilige Geschehen in Echtzeit beeinflusst, die Bildkomposition bleibt aber dennoch durch die sorgfältige und präzise Auswahl von Webcambildern durch Klimpel mitbestimmt.[32] Schliesslich hat sie hunderte von Webcams nach bestimmten Bildkriterien und dem passenden Bildausschnitt abgesucht und ein Pool jener Inhalte und Perspektiven ausgewählt, die nun den Spielraum aus ästhetischen Möglichkeiten zumindest grob definieren.
Das sich Aneignen von Webcambildern im Netz führt in in reality damit auch zu einer Verschiebung des künstlerischen Eingriffs im Prozess von Bildwerdung und Bild(fixierung), die sich nicht zuletzt auf den Betrachter überlagert. Denn während Klimpels künstlerische Transformation ein kontinuierliches Bildwerden hervorbringt, werden die Betrachter über ein Icon dazu eingeladen, die Augenblicke des Bildgeschehens in Form von Snapshots festzuhalten und damit selbst Autorschaft über ganz persönliche Seh-Momente zu erheben.[33] Doch nirgends drängt sich bei in reality die Technik so derart offensichtlich dazwischen wie bei dem zeitlichen Aufschub in der Fixierung des Bildes,[34] welche den Snapshot – die Sofortfotografie auf dem Bildschirm – zu einer Geduldsprobe macht: denn sind wir es uns nicht gewohnt, dass die Kamera das Bild fixiert, sobald wir knipsen, dass die bewegten Bilder still stehen, wenn wir auf der Fernbedienung ‚stop’ drücken, oder dass die Buchstaben, die wir auf der Tastatur eintippen, ohne zeitliche Verzögerung auf dem Bildschirm erscheinen? Welch mediale (!) Enttäuschung,[35] wenn uns der ‚entscheidende Augenblick’ (Cartier-Bresson), den wir für immer einfangen wollten, vor unseren Augen entgleitet. Doch getrost führt uns das „back to now“-Icon zurück in die Echtzeit, die das Versprechen des ‚entscheidenden Augenblicks’ bereits in ihrer bildlichen Verdichtung „bedeutungsvolle[r] Konstellationen zu einem einzelnen Bild“[36] durch das Überlagern perspektivischer und raum-zeitlicher Augenblicken in sich trägt. Und so unterlägen der fotografische Blick und seine Gesten – würde die Technik ihr Echtzeit-Versprechen einhalten – einer Transformation, die sich vom Impuls des ‚Einfrierens’ vergangener Momente abwendet hin zu einer „zugespitzte[n] Gegenwartsbezogenheit“,[37] in der wir in reality sind.
Doris Gassert holds a Doctorate in Media Theory and is an author.
Article by Dr. Doris Gassert is related to Kasia Klimpel’s in reality on www.collective-view.ch.
Post published on 30.7.2013.
[1] So zumindest ist der Webcam-Standard für den regulären Einsatzzweck, wie er im Rahmen dieses Artikels beschrieben wird; für den spezifischen Gebrauch (z.B. für die Überwachung) gibt es auch Webcams mit deutlich höherer Bildauflösung. Im Vergleich zu einer heutigen Standard-Digitalkamera mit 6 Megapixeln ist die Auflösung ca. 20 Mal niedriger.
[2] Als Abgrenzung dazu sind Netzwerkkameras, sog. digitale CCTV-Kameras, in der Lage, ihre Daten ohne die zusätzliche Verschaltung mit einem Rechner im Netz zu übermitteln.
[3] Vgl. z.B. die Webcam-Streams aus aller Welt auf www.webcamworld.com (Zugriff am 20. Juli 2013).
[4] Vgl. hierzu z.B. Jean Burgess/Joshua Green (Hg.): YouTube. Online Video and Participatory Culture. Cambridge: Polity, 2009; Julia Schumacher/Andreas Stuhlmann (Hg.): Videoportale: Broadcast yourself? Versprechen und Enttäuschung. Hamburger Hefte zur Medienkultur, Heft 12, 2011. Online verfügbar unter: http://www.slm.uni-hamburg. de/imk/HamburgerHefte/HH12_Videoportale.pdf (Zugriff am 20. Juli 2013).
[5] Als Medium und damit ab-bildende, d.h. re-präsentierende Kulturtechnik ist die Webcam auch konstitutiv in den zeitgenössischen Überlagerungsprozessen und Grenzverschiebung dieser zwei, nicht mehr klar von einander abzugrenzenden Domänen und Begriffen von Öffentlichkeit und Privatheit beteiligt.
[6] Kenn Hillis: Historicizing Webcam Culture. The Telefetish as Virtual Object, in: Niels Brügger (Hg.): Web History. Peter Lang, 2010, S. 137–154, hier S. 137. Ken Hillis ist auch Autor von Online a Lot of the Time: Ritual, Fetish, Sign (Duke University Press, 2009).
[7] Zum Paradigma der Intermedialität vgl. z.B. Andy Blättler et al.: Intermedialität im Zeitalter der Digitalisierung. Medientheoretische Analysen und ästhetische Konzepte. Bielefeld: transcript 2010.
[8] Vgl. Jay David Bolter/Richard Grusin: Remediation. Understanding New Media. Cambridge/MA.: MIT Press 2001.
[9] Im September 2013 erscheint ein Fotoband mit den Still Serien, bestehend aus 6 Booklets zu den Motiven Sun, Moon, Horizon, Mountain, Field, Sky: http://www.kasiaklimpel.com/Stillbook/ (Zugriff am 20. Juli 2013).
[10] Statement der Künstlerin zum Werk, online verfügbar unter: http://www.penelopeumbrico.net/Suns/Suns_State. html (Zugriff am 20. Juli 2013).
[11] Das gleiche macht auch der spanische Künstler Pep Ventosa in seiner Bildserie The Collective Snapshot: http:// www.pepventosa.com/gallery.html?folio=the%20photographs&gallery=The%20Collective%20Snapshot (Zugriff am 20. Juli 2013).
[12] Vgl. Beat Brogle: http://www.uni-bielefeld.de/ZIF/Kunst/2013/bbrogle_arbeiten.pdf (Zugriff am 20. Juli 2013).
[13] Auch Google Earth Bilder werden von zeitgenössischen Künstlern appropriiert, so z.B. von Jon Rafman (The 9 Eyes of Google Street View (2009); online unter http://9-eyes.com) oder von Doug Rickard (New American Picture Series (2009), online unter http://www.dougrickard.com) (Zugriff am 20. Juli 2013).
[14] „Panoramio gibt an, dass ausschließlich Fotos des jeweiligen Nutzers akzeptiert werden und schliesst in seinen Nutzungsbedingungen alle Bilder, die nicht echte Fotos sind, von der Akzeptanz aus.“ (Hervorhebung wie im Original.) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Panoramio (Zugriff am 20. Juli 2013),
[15] Roland Barthes sah im bezeugenden Charakter der Fotografie ihr bestimmendes Wesensmerkmal, den er ihr durch ihre Möglichkeit der Fixierung eines Augenblicks attestierte. Allerdings hat dies spätestens im “postfotografischen Zeitalter” (Mitchell) seinen Geltungsanspruch verloren. Vgl. Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1985, S. 32f.; William J. Mitchell: The Reconfigured Eye. Visual Truth in the Post-Photographic Era. Cambridge/MA: MIT Press 1992.
[16] Vgl. http://www.panoramio.com/photo/50158870 (Zugriff am 20. Juli 2013).
[17] Fabian Schöneich: Werktext zu The Grand Tour von Kasia Klimpel, online verfügbar unter http://www.kasia klimpel.com/thegrandtour/ (Zugriff am 20. Juli 2013).
[18] So die von Kasia Klimpel formulierte reflexive Natur ihrer Arbeit; wobei diese Fragestellung natürlich nicht nur in Bezug auf die virtuelle Welt Geltung hat, sondern hinsichtlich der Medialität der Fotografie als solche. Vgl. Kasia Klimpel, Masterreflex, Reflexive Arbeiten 2012, Master of Fine Arts, Institut Kunst, HGK FHNW, online verfügbar unter http://www. masterreflex.ch/Kasia-Klimpel_1.html (Zugriff am 20. Juli 2013).
[19] Ist das Bild einmal über Panoramio in das System von Google aufgenommen, so werden geo-getaggte Fotos auch „in unregelmäßigen Abständen in das Programm Google Earth und weitere von Google betriebene Internetdienste integriert.“ Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Panoramio (Zugriff am 20. Juli 2013).
[20] Bolter/Grusin, S. 205.
[21] Mit gesteigerter technischer Leistung verbessert sich auch die Übertragung und die Wirklichkeitsillusion der Bilder. So hat sich beispielsweise die Standardauflösung gebrauchsüblicher Webcams in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Auch bei der Bildübertragung, die meist in Intervallen und damit als Einzelbilder im Stop-Motion-Verfahren übertragen werden, hat sich durch die Erhöhung der frame rate (d.h. der Einzelbilder pro Sekunde, welche die Webcam aufnehmen und übermitteln kann) die Darstellung von Bewegung verbessert. Bei einer Aktualisierung ab 15 Einzelbilder/Sekunde werden die Daten gestreamt. Hat allerdings die Internetanbindung nicht die nötige Geschwindigkeit, bleiben die Bilder in der Übertragung hängen; Folge ist ein stockender Bewegungsablauf, Bewegungsunschärfe, sowie stark verzerrte oder eingefrorene Bilder. Auch heute aktualisieren allerdings viele, vor allem im Freien aufgestellte Webcams ihre Bilder nur alle paar Minuten oder in längeren Zeitintervallen.
[22] Martin Gasser: Kurt Caviezel. Global Affairs – Erkundungen im Netz, online verfügbar unter http://www.fotostif tung.ch/de/ausstellungen/ausstellungsarchiv/kurt-caviezel/ (Zugriff am 20. Juli 2013).
[23] Bolter/Grusin, S. 5f.
[24] Vgl. Ralf Adelmann: Visuelle Kulturen der Kontrollgesellschaft. Zur Popularisierung digitaler und videografischer Visualisierungen im Fernsehen. Dissertation Ruhr-Universität Bochum, 2003, vgl. hier S. 9. Online unter http:// www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/AdelmannRalf/diss.pdf (Zugriff am 20. Juli 2013). Als Beispiel dieser Popularisierung im frühen wissenschaftlichen Diskurs um das Fernsehen: „Die Reichweite der Sinnesorgane Auge und Ohr wird auf die ganze Welt ausgedehnt.“ Monika Elsner und Thomas Müller: Der angewachsene Fernseher. In: Hans Ulrich und K. Ludwig Pfeiffer (Hg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988, hier S. 211.
[25] Sollten wir doch zufälligerweise Zeugen spektakulärer Vorfälle werden, so bleibt das durch die Webcam vermittelte Erlebnis des Vorfalls in Echtzeit ein individuelles. Da die Webcam ihre Bilder nicht speichert, sind wir immer noch auf andere Aufzeichnungsformen und Kommunikationskanäle angewiesen, um das Ereignis (nachträglich) zu verbreiten, beispielsweise das Fernsehen oder Webseite-Nachrichtendienste, sowie die Streuung von Videos über Social Media wie YouTube oder Facebook.
[26] Vgl. Bolter/Grusin, S. 204.
[27] Bolter/Grusin, S. 207.
[28] Ebd.
[29] Vgl. Damian Jurt: Pressemitteilung zu in reality von Kasia Klimpel, online verfügbar unter http://www.collective-view.ch/wp-content/uploads/2013/05/CV_4_KK_Pressrelease.pdf (Zugriff am 20. Juli 2013).
[30] Bei der klassischen Webcam wird jedes Einzelbild bei der Aktualisierung stets mit einem neuen überschrieben. Selbstverständlich gibt es heute auch Tools und Programme für die Aufzeichnung. YouTube z.B. bietet einen Dienst an, bei welchem man die Webcam-Videos direkt über die Webseite aufzeichnen und hochladen kann.
[31] Isabell Otto: Webcam Bilder: Raumzeitlichkeit und Medienästhetik, online verfügbar unter: http://www.litwiss.uni-konstanz.de/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/litwiss/ag-medienwiss/SoSe_2013_Veranstaltungs verzeichnis_Medienwissenschaft.pdf (Zugriff am 20. Juli 2013). Die Webcam ist quasi eine medialen Schnittstelle zwischen dem statischen Bild der Fotografie und dem sich daraus entwickelten bewegten Bildern des Films.
[32] So hat Klimpel beispielsweise neben den bereits diskutierten Inhalten und besonderen Architekturen auch Bilder ausgewählt, die immer eine Art Grundbewegung besitzen, wie das Rauschen von Wasser, vorbeiziehende Wolken, Windräder, Schiffe und Boote im See, Blätter und Wiesen, die sich im Wind bewegen, oder das konstante Blinken von technischen Anzeigen. Dies wird ergänzt mit sozialen Orten, an denen zu spezifischen Zeiten Menschen zu erwarten sind, und mit Orten, wo die Möglichkeit der Bewegung zumindest besteht, wie abgelegene Strassen, auf denen ab und zu ein Auto durchfährt.
[33] Auch Künstler wie beispielsweise der Schweizer Fotograf Kurt Caviezel benutzen die Webcam und die Technik des Screenshots als Erweiterung der Fotografie im Netz. So betrachtet Caviezel die Welt seit über zehn Jahren aus der Perspektive von unzähligen, auf der ganzen Welt platzierten Webcams, um dem unentwegten Bilderstrom einer meist banalen Alltäglichkeit einen “entscheidenden Augenblick” (Cartier-Bresson) abzugewinnen.
[34] Diese zeitliche Verzögerung ist auf die Datenmenge zurückzuführen, die bei vier gleichzeitig in Echtzeit übermittelnden Webcams aufeinander treffen und damit das Speichern verzögern.
[35] Eine mediale Enttäuschung, weil der zeitliche Aufschub nicht von der Künstlerin beabsichtigt, sondern alleine der Technik zuzuschreiben ist. Dennoch verweist gerade dieses selbstreflexive In den Blick-Treten der Technik darauf, wie sehr sie an unserem Wahrnehmungsprozess mitbeteiligt ist, und wie die verschiedenen technischen und medialen Voraussetzungen auch unsere (alltäglichen wie künstlerischen) Praktiken verändern.
[36] Kathrin Peters: Sofort-Bilder. Aufzeichnung, Distribution und Konsumption von Wirklichem unter dem Vorzeichen der Digitalfotografie, S. 3f. Online verfügbar unter: http://www.medienkunstnetz.de/themen/foto_byte/sofort_ bilder/ (Zugriff am 20. Juli 2013)
[37] Ebd.